Dr. Suitbert Hoffmann bei seiner Lesung in der Gaststätte Dewender.Etwas schwer über die Lippen kommt der Vorname des Referenten, der auf Einladung der Bürgerstiftung in der Gastwirtschaft Dewender auftrat. Bert oder Berti Hoffmann, so kennen ihn seine ehemaligen Mitschüler besser.
Tatsächlich waren mit den knapp 50 Zuhörern auch einige Vertreter(innen) seiner Bühner Volksschulzeit anwesend, als ihr berühmter Klassenkamerad in seiner Heimat erschien. Der war schon als Junge ungewöhnlich und liebte bereits während seiner Schülerzeit die schönen Künste. Klassische Musik, Malerei und gehobene Sportdisziplinen hießen seine Steckenpferde.

Die Dorfjugend mühte sich zu der Zeit beim Eishockey mit den kleinen Gummibällen aus den Baumhüter-Bindegarnrollen und den untergeschraubten Schlittschuhen auf dem Teich ab. Als wohl erster Bühner trug Berti ein professionelles Eiskunstlaufschuhwerk und imitierte sehr erfolgreich die Pirouetten seiner Vorbilder Kilius/Bäumler oder Göbl/Ningel. Später wurde er dann Chefarzt der Gynäkologie im Warburger Krankenhaus und wohnt heute in Kassel. Bert Hoffmann machte vor der Lesung auch gleich die Runde und erkundigte sich nach dem Wohlbefinden seiner Mitstreiter und der anderen Bekannten. „Ich habe schwere Kost mitgebracht“. Fast wollte er sich bei den Dorfbewohnern entschuldigen, denn dieser Satz war nicht nur einmal von ihm zu hören. Dabei versprach sein letztes Werk „Josefa – Eine Geschichte vom Lande“ doch ganz amüsant zu werden. So war es jedenfalls in der Vorankündigung des örtlichen Mitteilungsblattes zu lesen. Doch um eine Komödie handelte es sich bei dieser Lesung mitnichten.

Seine Geschichte spielte gegen Ende der fünfziger-, Anfang der sechziger Jahre in einem Dorf mitten in Westfalen. Die Adenauer-Zeit nach dem zweiten Weltkrieg war gekennzeichnet vom Wiederaufbau und dem Verdrängen des Krieges. In den Schulen unterrichteten viele Lehrer, die im Krieg der Nazis gekämpft hatten und von dieser Zeit geprägt waren. Dr. Suitbert Hoffmann: „Man wollte sich gerade wieder einrichten auf ein Leben ohne Gedanken an das, was an Entsetzlichem geschehen war, wollte das Unvergessliche vergessen, wollte so leben wie bisher, so als sei nichts geschehen, wollte seine alten Helden und seine neuen Denkmäler.“

Die Handlung bezog sich nicht ausschließlich auf Bühne, doch in vielen Passagen wurde der direkte Bezug zu seinem Heimatdorf mehr als deutlich. Zumeist wurden die Namen verfremdet oder seltener im Original (Dorfpolizist Guckenbiel) verwandt. Hoffmanns haben ja früher neben der ehemaligen Schützenscheune gewohnt und dabei bestimmt voller Vergnügen beim Fest ihre Studien gemacht. So sind einige Schützenfesterlebnisse sehr humoristisch festgehalten. Vor allen Dingen dann, wenn man die Geschehnisse aus der sicheren Entfernung des amüsierten Beobachters erlebt. Für die Zuhörer aber, die die Atmosphäre der Schützenfeste eher verklärend wahrnehmen, eröffneten sich gänzlich neue Perspektiven.
Bei der Lesung fiel weiterhin auf: Personen des öffentlichen Lebens (Pastor, Bürgermeister, Lehrer und Dorfpolizist) wurden wie die übrige Bevölkerung mehr oder weniger negativ dargestellt. Einzige Ausnahme: Der Landarzt und Vater des Autors.

Der Verfasser hat lange genug hier gelebt. Oft wird das Stilmittel der Überzeichnung verwandt, um einen Zustand deutlich zu machen. Dass aber in einem Dorf wie Bühne mit seinem Vater, dem Landarzt, wirklich nur ein Mensch lebte, der mit Hilfe, Güte und Verständnis auf die Not einer gegeißelten Außenseiterin reagierte, erscheint unverständlich und macht betroffen. Vor allen Dingen dann, wenn man seine Eltern anders als als boshafte Spießer erlebt hat. So gesehen, war das Stück für die Eingeborenen aus Bühne schon wirklich eine schwere Kost.

Nun aber zu der eigentlichen Geschichte. In der Hauptsache drehte sich alles um einen Dorfskandal. Eine Witwe wurde ungewollt schwanger(natürlich eine Schützenfestverfehlung) und brachte ein nicht eheliches Kind zur Welt. Sie nannte dieses Kind Irene. „Das heißt Frieden“, klärte der Doktor auf. Für eine Frau in den fünfziger Jahren bedeutete dieser Umstand den absoluten Super-GAU. Sowohl von der Gesellschaft als auch von der Kirche waren keinerlei Hilfen oder auch nur Verständnis zu erwarten. Ganz im Gegenteil. Mit einer mehr als unbarmherzigen Reaktion der Dorfbewohner wird die Frau für ihre „Untat“ verantwortlich gemacht und seelisch gequält. Schließlich wird sie ihrer Existenz beraubt mehr oder weniger aus dem Dorf vertrieben.
Die Zuhörer stellten sich gleich die Frage, ob der Vorgang in dieser Form auch auf die heutige Zeit übertragen werden könnte. Bert Hoffmann meinte im Verlauf seiner Lesung dazu:
„Und Josefas Geschichte – Kann auch sie abgetragen werden mit der Bemerkung, so sei es früher gewesen und damit hätten wir heute nichts mehr zu tun? Nein! Sie schildert nur das gemeine Alltägliche und schildert folglich nichts anderes als die ungeheure Kraft der verkannten alltäglichen Herrschaft der Gewalt im Kleinen, die stets im Stillen darauf wartet, ins Große zurückzukehren.“
Mag ja sein, aber die Zeiten haben sich auch in einem Dorf wie Bühne schon gewaltig geändert. Eine Geschichte wie diese empfindet man in der Gegenwart wie ein Kapitel aus einer längst überholten dunklen Zeit. Das Beispiel als Beleg für die angeführte Aussage erscheint doch ziemlich ungeeignet. Die ungewollte Schwangerschaft einer unverheirateten Frau oder einer Witwe mag für die Betroffene zwar unangenehm sein, aber ein gesellschaftliches Drama ist das selbst in der ostwestfälischen Provinz des Jahres 2016 längst nicht mehr. Aus diesem Grunde wäre auch den gehässigsten Klaften im Dorf der Sprengstoff genommen.
Zugegeben, die Kontrollmechanismen funktionieren auch im neuen Jahrtausend noch immer reibungslos. Und der Klatsch ist für einige Leute im Dorf so wichtig wie das tägliche Brot. Ebenso wohl wahr: Die Enge, die dörfliche Abgeschiedenheit und die fehlende Mobilität der fünfziger Jahre führten zu einer Begrenztheit, die sich in Aggressionen gegenüber dem Fremden und dem Unbekannten äußerte. Erinnert man sich z. B. noch an die Fußballspiele auf dem Potten gegen Borgentreich oder Körbecke? Es gab sehr häufig eine Schlägerei. Nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den Zuschauern.
So etwas ist aber jetzt im Zeichen einer selbst nur lokalen Globalisierung undenkbar. Die Jugendlichen in den einzelnen Dörfern kennen und verstehen sich viel zu gut für derlei Unsinn. Wir glauben auch daran, dass heute in einem ähnlichen Fall nicht nur eine Person, wie der beschriebene Dr. Theo Hoffmann, sondern mehrere Einwohner im Dorf genügend Herzensbildung hätten, um mit einer menschlicheren Reaktion der Düsternis der dargestellten Vorgänge zu begegnen.
Alle Anwesenden haben dem Autor für diesen interessanten Abend zu danken. Seine Sprache war ein Genuss für die Ohren. Die in die Geschichte eingebauten Lichtbilder erinnerten viele Besucher an die Zeit ihrer Jugend. Auch seine Absicht, das Publikum zu sensibilisieren, sich stärker für die Rechte der Frauen einzusetzen, wurde verstanden und honoriert. Der Handlungsablauf mit seinen kräftigen Schwarz-Weiß-Bildern forderte allerdings zum Widerspruch heraus.