Mein Radtagebuch (von L. Meier)

Vorbemerkung: Kurze Zeit vor dem Beginn der Veranstaltung fragte mich Jutta Kropp, ob ich nicht Lust hätte, beim Stadtradeln als Mitglied der Mannschaft des FC Bühne an den Start zu gehen. Wolfgang Klare, als erster Vorsitzender des Vereins, würde sich über meine Teilnahme bestimmt auch freuen.

stadtradeln08Erfolgreiche Radler des FC BühneIch musste nicht lange überlegen, denn es gibt keine Mannschaft, bei der ich lieber mitmachen würde als beim FC Bühne, da ich dort knapp 40 Jahre mit großer Freude Fußball gespielt hatte. Außerdem war Wolfgang ein langjähriger Tenniskumpel von mir, dem ich gerne den Gefallen tat.

Allerdings dachte ich anfangs, dass Stadtradeln bestimmt eine leichte Übung sei, die kein besonderes Maß an Anstrengung erforderte. Diese Gedanken erwiesen sich als falsch. Durch den Gruppenzwang radelte ich mehr als gedacht.

Dazu kam, dass bei der Einteilung nicht unterschieden wurde, ob man mit einem Elektrofahrrad, Rennrad oder mit einem normalen Straßenrad antritt.

In Radfahrkreisen gibt es ja nicht selten intensive Unterhaltungen darüber, welche Wahl für welchen Radler besonders günstig sei.

Für mich gibt es dabei keinen Diskussionsbedarf. Im Regelfall bewege ich mich am Tag eine Stunde sportlich aktiv. Je intensiver der Bewegungsanteil dabei ist, desto günstiger wirkt er sich auf meine allgemeine Verfassung aus. Deshalb brauche ich kein Elektrorad oder einen Tachometer. Ein Rennrad kam mir auch deshalb nicht in den Sinn, weil ich nie besonders ausgeprägte Radsportambitionen hatte. Ganz neu bei dieser Veranstaltung war der Akt des Kilometerzählens. Doch es ging in erster Linie um den Lernprozess, möglichst viele Kilometer mit dem für die Umwelt schädlichen Auto einzusparen und dafür das Fahrrad einzusetzen. Unter diesem Gesichtspunkt war es natürlich gleichgültig, auf welche Weise man seinen Teil dazu beitrug, die Umwelt zu entlasten.

Natürlich störte auch mich die Vorstellung, dass für alle Beteiligten der gefahrene Kilometer den gleichen Wert hat, ganz egal, ob mit dem E-Bike oder dem normalen Fahrrad gefahren wurde. Dabei konnte man die heruntergelegten Kilometer selbst eintragen. Das wollte ich unter gar keinen Umständen. Deshalb hatte ich auch Schwierigkeiten, die zu viel gezählten 858 km zu löschen, da ich diese Funktion nie benutzte. In der App gab es einen automatischen Kilometerzähler, den ich während der ganzen Zeit in Anspruch nahm. Leider war er sehr unzuverlässig, ich würde ihn sogar als etwas zickig bezeichnen, denn er zeigte teilweise gar keine oder zu niedrige Kilometerzahlen an.

Wenn da für jeden sichtbar ein Ranking öffentlich erscheint, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, es interessiert mich nicht oder es ist für mich doch wichtig. Ohne diese für alle beteiligten Fahrer einsehbare Tabelle wäre ich mit Sicherheit nicht so oft und so viel gefahren.

Als ich Jutta Kropp unterwegs traf und wir uns über unsere neue Beschäftigung „des Kilometermachens“ unterhielten, waren wir uns einig: „Wir machen das im Moment nicht aus purer Freude an der Sache, sondern auch, weil wir nicht den letzten Platz belegen wollten“.

Nachdem ich nach einigen Tagen auf die Idee kam, hier ein Radtagebuch für die Bühner Seite zu schreiben, war mein Ehrgeiz noch größer. Denn wenn ich hier permanent auf dem letzten Platz herumgegurkt wäre, hätte ich lieber ganz den Mund halten müssen. Beim Fußball haben wir schließlich auch die Leute nicht ernst genommen, die nach dem Spiel stundenlang über die Vorteile des Doppelpasses schwadronierten, im Spiel beim Stoppen eines einfachen Passes aber rettungslos überfordert waren.

27. Mai - Start

Nach der Anmeldung und der Installation der App „Stadtradeln“ drückte ich auf „Start“, steckte das Handy in die Hosentasche und fuhr los. Über den Evershagen kam ich zum Ortseingangsschild von Natzungen und überprüfte die Technik. Und tatsächlich: Es funktionierte alles prächtig und auf dem Kilometerzähler erschien die Zahl: 6. Doch als mein Blick auf das Ortsausgangsschild fiel, stand da: Bühne 7 km.

Na, ja, es ist ja noch alles ziemlich neu und die App muss sich erst einmal eingewöhnen, gab ich ihr noch eine Chance.

Von Natzungen fuhr ich nach Willegassen, dann nach Eissen und über Lütgeneder und Körbecke nach Hause.

28. Mai

Ins Hessenland bin ich schon immer gerne geradelt. So fuhr ich heute nach Hofgeismar. Unterwegs freute ich mich schon sehr auf den Eisbecher, den ich mir genehmigen wollte. Doch leider hatten beide Eisläden zu. Etwas enttäuscht machte ich mich auf die Rückreise. Als ich mich auf dem Diemelradweg in Deisel entscheiden musste, ob ich wohl noch weiter nach Bad Karlshafen fahren möchte, wählte ich einen anderen Weg.

Es ist ja Erdbeerzeit, zwar noch sehr früh, aber da die Straße von Bühne nach Haarbrück gesperrt ist, kommt man kaum noch nach Langenthal, wo ich sehr gerne Erdbeeren hole. So beschloss ich, von Deisel nach Langenthal zu fahren. Ich wusste zwar, dass es eine ziemliche Steigung gibt, nahm sie allerdings nicht ganz so ernst.

Das sollte ich schon bald bereuen. Der Berg nahm und nahm kein Ende, es war heiß, der blöde Helm drückte und ich stand ganz kurz vor dem Offenbarungseid aller Radfahrer: Den Kopf ganz tief nach unten zu halten, damit man unter gar keinen Umständen erkannt wird, wenn man das Rad kleinlaut ins Ziel schieben muss.

Als ich endlich an dem Erdbeerhäuschen in Langenthal stand, war es natürlich zu, denn die heimischen Erdbeeren sind ja wohl erst später reif. So fuhr ich über die Villa Rothenburg ohne Erdbeeren und ohne Kraft nach Hause.

29. Mai

Über Trendelburg ging es auf dem Diemelradweg nach Karlshafen. Dort hatte ich wieder kein Glück mit dem Eis, aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre dort in der Eisdiele ließ sich dieser Verlust verschmerzen. Immer, wenn ich in der Ecke bin, muss ich an meine Schulzeit im Dreiländereck denken. In der Anfangszeit gab es noch keine Brücke zwischen Würgassen und Herstelle.

Wir wohnten damals in Lauenförde (Niedersachsen). Von dort ging es zur Schule nach Würgassen (NRW).

Wenn ich Sport unterrichtete, musste ich über Karlshafen (Hessen) nach Herstelle (NRW), um danach wieder zur Wohnung ins niedersächsische Lauenförde zu fahren.

Doch auch an viele gemeinsame Rollschuhfahrten mit den Schulkindern auf dem Weserradweg konnte ich mich erinnern.

30. Mai

stadtradeln05Wasserschloss SchweckhausenSchon sehr früh machte ich mich auf den Weg, um über Borgentreich und Eissen auf dem Radweg nach Peckelsheim zu fahren. Auf dem Rückweg kam ich in Schweckhausen vorbei und staunte nicht schlecht über das restaurierte Wasserschloss.

In der Zeitung gab es einen größeren Bericht darüber mit dem Titel: „Schloss aus dem Dornröschenschlaf geweckt“. Wer längere Zeit nicht in Schweckhausen war, erkennt das Schloss kaum wieder. Jedenfalls muss man hier einige Zeit verweilen, bevor es weiter geht. Nun ja, über Natzungen, den Bahnhof Borgholz und den Eichhagen ist es bis Bühne auch nicht mehr gar zu weit.

31. Mai

Auf dem Weg ins Weserbergland traf ich aus unserer Gruppe Elmar Rose, noch ganz in der Nähe von Bühne. Als meine App gar nicht funktionierte, gab er mir den Rat, sie zu entfernen und neu zu installieren. Ich fuhr nach Hause und befolgte seinen Rat.

Danach klappte es auch besser. Nun fuhr ich über Dalhausen, Beverungen, und Karlshafen zum Wasserschloss in Wülmersen, wo ich endlich am Ziel meiner Wünsche war. Sie hatten Eis, ja sogar Bauernhofeis aus Schöningen.

Über Deisel und den Westfalenweg war die Rückfahrt auch nicht mehr sehr lang.

1. Juni

Heute wollte ich nach Volkmarsen fahren. Am Ende des Schlohwegs traf ich Günter Hanke. Er ist ja ein ganz eifriger Fahrradfahrer, den man in der Umgebung von Bühne sehr oft sieht. Auch er verzichtet beim Fahren auf die App. So langsam glaube ich, dass es auch für mich besser wäre. Aber ich habe keinen Tacho, also fahre ich weiter damit.

Über Liebenau ging es über den Diemelradweg weiter in Richtung Warburg. Da ich die Eisdiele in Volkmarsen kenne, hatte ich schon diese gewisse Vorfreude in mir.

In Warburg machte ich eine kleine Pause und sah mit Entsetzen, dass der Akku meines Handys schon fast ganz leer war. Das hieß also im Klartext, dass ich in kurzer Zeit mehr oder weniger umsonst fahre und überhaupt keine Kilometer mehr gut geschrieben bekomme. Man kann ja auch die gefahrenen Kilometer selbst in die App schreiben, aber das geht natürlich nur mit einem Tachometer, den ich aber nicht habe.

Also beendete ich mein „Volkmarsen-Abenteuer“ und fuhr zurück. Jetzt aber nicht mehr auf dem Diemelradweg, sondern ich bog nach links ab, um so nach Daseburg zu fahren. Der Berg auf der Strecke dorthin war lang und eklig, aber zu schaffen. Über Rösebeck und Körbecke war der Weg in die Heimat nicht gar zu lang.

2. Juni

Wenn das Wetter richtig heiß ist, dann lädt der See kurz vor Höxter oft die Menschen zum Schwimmen ein, die sich nicht so gerne in der Enge eines Schwimmbads bewegen. Den Weg von Beverungen nach Höxter kannte ich durch viele Inlinertouren sehr gut. Besonders die erste Fahrt ist mir noch immer im Gedächtnis geblieben. Ganz früher hatte ich ja Rollschuhe und es dauerte immer eine Zeit, bis die neueste Mode ihren Einzug bei mir hielt.

Nachdem ich die neuen Inliner an den Füßen hatte, war der Unterschied zu den Rollschuhen unbeschreiblich. Eigentlich wollte ich nur bis Blankenau fahren (Verzeihung, natürlich heißt es in der Fachsprache skaten), aber die Inliner bewegten sich immer weiter. Über Wehrden war ich plötzlich in Höxter, fast ohne etwas zu merken. Nie wieder sperrst du dich gegen neue und dadurch viel bessere Sportgeräte, ging es mir durch den Kopf. Die Quittung folgte augenblicklich.

Als ich mich in Höxter umdrehte, wehte mir ein fieser Wind entgegen. Es dauerte Ewigkeiten, bis ich in Wehrden war. Zu allem Übel machte sich ein unangenehmes Gefühl an einem Fuß bemerkbar, das nicht selten als Begleiter eines neuen Schuhwerks die Menschen quält: der Beginn einer Blase. Der Weg zurück bis Beverungen ist mir als ein ständiger Kampf mit dem Schmerz noch immer in Erinnerung geblieben.

Die Rückfahrt mit dem Fahrrad war dagegen ein Vergnügen und brachte mir einige gute Kilometer im Kampf um eine anständige Platzierung.

3. Juni

An diesem Tag entschied ich mich auch für eine Tour, die kilometermäßig günstig sein sollte. Das geht besonders leicht, wenn man an den Flussläufen fährt. Keine Höhenmeter, das Rad läuft fast von ganz allein und angenehm kühl ist es auch noch. Man staunt immer wieder, wie lang der Radweg allein in Dalhausen ist. Ganz neu gemacht und mit einer Teerdecke, die immer wieder zum Inline-Skaten einlädt. Schade, das mache ich nicht mehr. Ich bin dabei noch nie gestürzt, aber jetzt bin ich in einem Alter, in dem ein Sturz nicht ungefährlich sein kann.

Dann ist es schon besser, ganz darauf zu verzichten.

Vor einiger Zeit wollte ich es auch einmal wagen, von Dalhausen nach Jakobsberg zu fahren. Es war nicht zu schaffen, für einen Fahrer meiner Qualität. Am Berg hielt ich an, ging an den Straßenrand und erholte mich nur langsam.

Doch nach einer längeren Fahrt über den Diemelradweg packte mich in Sielen der Ehrgeiz erneut. Ich versuchte, den Berg mit dem Fahrrad zu erklimmen. Etwas großmäulig wählte ich nicht einmal die Straße nach Muddenhagen, sondern den am Ende unebenen Weg zum Sieler Wald. Mit allerletzter Kraft und Verwünschungen über meine Unvernunft taumelte ich am Waldrand zur Bank und brauchte eine sehr lange Zeit zur Regeneration.

4. Juni

Da man auch rund um Bühne genügend Möglichkeiten hat, das Fahrrad zu bewegen, beschloss ich, die heimischen Radwege zu nutzen, um meine Kilometerzahl zu steigern. Man muss nicht immer unbedingt das Glück in der Ferne suchen. Es gab ja mal eine Zeit, in der es für Leute verpönt war, in der Welt herumzureisen. Liegt aber lange zurück. Das auf Heimat getrimmte Motto hieß in etwa so: New York kennt er, aber auf dem Desenberg war er noch nie.

Nachdem ich lange genug um Bühne gefahren war, beschloss ich, doch noch nach Lamerden zu fahren. Immer, wenn ich in dieser Gegend bin, bedauere ich, dass es keinen Radweg durch das Alstertal gibt.

Vor einiger Zeit habe ich es einmal gewagt und bin von der Mühle aus am Gipswerk vorbei gefahren, um den in der Nähe bekannten Radweg zu finden.

Es gelang mir auch, aber die Sportart ähnelte eher dem früher populären Querfeldeinfahren. Rolf Wolfshohl ist mir aus der Zeit noch ein Begriff. Ich erreichte zwar nicht ganz seine fahrerische Klasse, aber nach der Fahrt sah ich zumindest so schmutzig aus wie dieser Fahrer nach einem Wettkampf.

5. Juni

Zwei Runden bin ich im Schloh geradelt. Unterwegs traf ich Jutta Kropp. Wir haben uns über die App ausgetauscht. Auch sie benutzt sie nicht. Dann habe ich zwischen Borgentreich und Körbecke den führenden Mann, Hermann Hartmann, getroffen. Auch er greift nicht auf die App zurück. Er macht ja richtige Langstreckentouren.

Danach war bei der Kontrolle die App aus und ich hatte 7 km verloren. So beschloss ich, schon nach jeweils 5 km zu speichern. Fuhr dann über Borgentreich in Richtung Schweckhausen. Rechts bog ich ab nach Willegassen. Dort kamen Erinnerungen an längst zurückliegende Rollschuhtouren auf, die ich vor längerer Zeit bis dahin gemacht hatte. Dunkle Wolken bedrohten mich. Doch das Gewitter kam nicht. Später wurde bekannt, dass heftige Unwetter in ganz Deutschland niedergegangen waren.

6. Juni

Bin über Körbecke nach Liebenau gefahren. Das Wetter ist zum ersten Mal während dieser Tour angenehm kühl. Die Diemel ist nicht wiederzuerkennen: Durch die Unwetter gestern hat sie eine unangenehme braune Farbe bekommen. Was ich sonst im Sommer mal immer wieder gerne mache, in der Diemel zu schwimmen, ist jetzt unmöglich.

Ansonsten ist heute nur sehr wenig Verkehr. Die App nervt mich nur ein einziges Mal. In Sielen hat sie ab Lamerden nichts angezeigt. Der Diemelradweg ist jetzt richtig gut. Von Trendelburg bis kurz vor Karlshafen wurde er asphaltiert und es macht sehr großen Spaß, Kilometer zu sammeln. Doch heute bin ich schon in Deisel abgebogen und über den Westfalenweg an der Villa Rothenburg vorbei nach Bühne gefahren.

7. Juni

stadtradeln01Nethe bei HembsenBereits kurz vor sieben erfolgte der Startschuss zur heutigen Fahrt. Nach der Überprüfung an der Einfahrt zum Evershagen zeigte die App, dass sie mehr oder weniger aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Als ich in Borgholz nachschaute, wurde mit den 2,4 Kilometern an meiner guten Laune gekratzt. Bis Brakel ging es mit der Zählerei nur schleppend.

Immer wieder sage ich mir dann, dass dies die letzte Fahrt ohne Tachometer gewesen ist. Trotz allem bin ich mit meinem augenblicklichen Platz 6 bei 20 Startern hochzufrieden und muss von daher gar nichts ändern. Ob da mal ein Kilometer mehr oder weniger gezählt wird, ist auch nicht lebenswichtig.

Ansonsten war die Fahrt bei kühlen Temperaturen äußerst angenehm. Vor Brakel hatte ich endlich den Netheradweg erreicht. Den war ich schon einige Male vorher gefahren. Doch diese Fahrt erwies sich als besonders angenehm, weil ich fast ganz allein auf der Strecke war. So konnte ich die besondere Schönheit dieses Radwegs noch mehr genießen.

In Bruchhausen fiel mir allerdings die Kopfsteinpflasterdurchfahrt etwas unangenehm auf. Ob man will oder nicht, Kopfsteinpflaster bringt man ja doch noch immer mit der untergegangenen DDR in Verbindung. Wenn ich durch den Altkreis Warburg fahre, erinnere ich mich in den einzelnen Dörfern noch gerne an die vergangenen Fußballspiele. Erkeln, Beller, Hembsen, Bruchhausen, Ottbergen, Amelunxen, Godelheim und Wehrden gehören nicht dazu, denn im damaligen Kreis Höxter haben wir mit unserem FC Bühne kaum gespielt. Beverungen und Dalhausen waren die Ausnahmen, denn dorthin wurden wir dann und wann zu Pokalturnieren eingeladen.

Vorabends habe ich noch einige Runden auf den Feldwegen gedreht. Dabei wurde ich von einem Hund bedroht, der absolut nicht auf seine Besitzerin hören wollte. Das „Eigentlich ist er ganz lieb und gehorcht sonst immer,“ hätte sie sich sparen können oder hinzufügen müssen: „Nun ja, bei Beamten reagiert er von Fall zu Fall etwas zu ungestüm.“ In dem Moment, als ich nach einer Kurve Frau und Hund verlassen hatte, kam mir Elke Becker-Lenz entgegen. Ich warnte sie vor dem Hund, worauf sie die Richtung drehte. So fuhren wir noch einige Zeit gemeinsam. Sie ist aber nicht in der Gruppe und fuhr aus Spaß, befreit von dem Zwang, unbedingt eine bestimmte Anzahl von Kilometern erreichen zu wollen.

8. Juni

stadtradeln02Ortsausgang GottsbürenZuerst wollte ich nach meinem Plan die Strecke zu meinem angestrebten Ziel Gieselwerder mit der Fahrt über Trendelburg nach Gottsbüren starten. Doch im letzten Moment entschied ich mich um und fuhr Richtung Karlshafen.

Fast hätte ich es bereut, denn auf dem neu asphaltierten Diemelradweg hieß es kurz nach Wülmersen urplötzlich: Stop! Entweder bauten sie die Straße weiter aus oder Holzfäller verhinderten die Weiterfahrt.

Gut, dass mein Fahrrad sehr robust und strapazierfähig ist, denn in weitem Bogen und ganz nah an der Diemel fuhr ich gefahrlos für die Arbeiter und mich weiter.

So erreichte ich bald Bad Karlshafen. Vom Endlosthema der Kilometermessung wollte ich mich ja eigentlich verabschieden, doch an der Tankstelle kurz vor der Therme stach mich der Hafer. Ich ging in den Laden und fragte: „Haben Sie auch Fahrradtachometer“? „Nein, da sind Sie hier falsch, wir haben unsere Fahrradabteilung aufgegeben. Der Fahrradladen ist jetzt in der Stadt und öffnet um 14.00 Uhr.“ So hatte sich das Thema erledigt und ich fuhr auf dem Weserradweg weiter in Richtung Gieselwerder.

Die Dörfer mit den Namen Gottstreu und Gewissenruh kannte ich schon von früheren Fahrten. Da hatte ich aber das Fahrrad im Auto und startete in Bad Karlshafen oder Reinhardshagen. Oft war Hann. Münden das Ziel. Jetzt aber ging es nur nach Gieselwerder. Hat mir immer gut gefallen, dieser Ort. Ich bin früher manchmal zuerst mit den Inlinern dort gefahren, um dann anschließend im Freibad noch einige Runden zu schwimmen.

Vor der Rückfahrt hatte ich aber wegen der bergigen Strecke im Reinhardswald nicht die entspanntesten Gedanken. Doch es klappte besser als erwartet. Dabei bin ich die Steigungen ganz langsam angegangen. An der berühmten Stelle, an der das Wasser nach oben fließt, hielt ich kurz inne. Vor der Ortsausfahrt in Gottsbüren musste ich doch etwas schmunzeln über die französische Hessenplattkombination: Kumm balle wedder-Aurevoir.

9. Juni

stadtradeln03Kurz nach VolkmarsenMit den besten Voraussetzungen sollte an diesem Tag die abgebrochene Fahrt in Richtung Volkmarsen nachgeholt werden. Nach einer Aufwärmrunde im Schloh war ich dann auch schnell auf dem Diemelradweg. In Warburg hatte ich kein angenehmes Erlebnis. Vor einem Poller standen 6 - 7 ausländisch wirkende Jugendliche und versperrten mir den Weg. Sie hatten auch Fahrräder dabei und hörten mit Überlautstärke aus einem Riesenradio bassintensive Rapmusik.

Ich verringerte meine Geschwindigkeit und als sie sich nicht bewegten, rief ich: „Lasst mich mal da durch!“ In Zeitlupe und aufreizend langsam mit grimmigem Blick kurz vor einem Auffahrunfall ließen sie mir einen denkbar knappen Durchschlupf. Ich ärgerte mich maßlos über diese Truppe und dachte: „Ihr seid genauso bescheuert wie eure Musik!“

Dieser Vorfall beschäftigte meine Gedankenwelt außerordentlich, doch dazu später mehr. In Volkmarsen besuchte ich sofort die Eisdiele. Sie hatte geöffnet und nach den Anstrengungen der letzten Tage konnte ich ohne Reue jeden Eisbecher meiner Wahl mit oder ohne Schlagsahne bestellen. Schnell erschien auch der Kellner, aber statt der Karte entschuldigte er sich bei mir: „Tute mir schreglisch leide, aber Sie könne esse Eis nur mit das da.“ Er zeigte auf ein Schreiben, aus dem hervorging, dass ich nur mit einem erfolgten und noch gültigen Coronatest bedient werden könne.

„Morge Sie könne komme, dann Teste nich mer nötich!“ Ich spürte, wie sehr es ihm leid tat, mir in der leeren Eisdiele kein Eis verkaufen zu können. Besonders freundlich wollte ich ihm zeigen, dass ich Verständnis für seine Maßnahme hatte und ihm das natürlich auch nicht übel nahm. Wir verabschiedeten uns herzlich und ich fuhr zurück.

Kaum aus Volkmarsen heraus, entdeckte ich am Rand des Radweges dieses Schild: „Region gegen Rassismus“

„Na, das passt ja gut,“ dachte ich und setzte meine Überlegungen für die Zeit nach dem Vorfall in Warburg fort.

Waren meine Gedanken gegenüber den Jugendlichen rassistisch? Begab ich mich ideologisch in die Nähe zu der verhassten AfD?

Durch meine Israelbesuche wusste ich doch hautnah, wie fürchterlich der Rassismus in Deutschland gewütet und was er mit unvorstellbarer Menschenverachtung unschuldigen Bürgern unseres Landes angetan hatte.

Nachdem ich längere Zeit unter dem Schild gestanden hatte, kam ich zu folgendem Ergebnis:

Ein eindeutiger Fehler von mir war es, ihre Musik zu aggressiv zu kritisieren.

Warum?

Hat es schon jemals eine Zeit gegeben, in der die junge oder ältere Generation sich im Musikgeschmack ähnlich waren? Nein! Oft unterhalte ich mich mit Günter Hanke über dieses Thema. Wir sind ja in einer Zeit groß geworden, die mit dem Beat der sechziger Jahre revolutionär war. Da gab es die Beatles und die Stones als führende Bands neben vielen anderen, die wie Pilz(köpfe) aus dem Boden schossen. Unsere Kultsendung war die Frankfurter Schlagerbörse mit Hanns Verres als großartigem Moderator. Wenn jemand der Möchtegern-Intellektuellen leicht säuerlich kritisierte: „Schlagerbörse-igitt“, dann war er in seinem Element: „Wie es genannt wird, ist mir egal. Glaubt ihr etwa, viele der hochgelobten Beatles Songs seien Kunstwerke? - I want to hold your hand - zum Beispiel hat einen sehr gewöhnlichen Schlagertext. Aber die Musik ist unübertroffen. So - und nun kommen wir zu den Spitzenreitern: Auf Platz zwei liegt heute mit 3680 Stimmen: Bernd Spier mit - Das war mein schönster Tanz mit dir. Spitzenreiter aber - und das sage ich gerne an - sind die Rolling Stones mit Satisfaction. 8635 Hörer stimmten für diesen Hammer-Song“.

Er war eindeutig auf der Beatseite und belächelte die Schnulzensänger wie Roy Black oder Rex Gildo. Dieser Hanns Verres wollte gerne die Generationen verbinden. Er wandte sich an die jüngeren Leute und meinte: „Wenn euch die Eltern kritisieren und eure Beatmusik als laute Lärmmusik abtun, dann versucht doch einmal, ihnen Platten von den Beach Boys vorzuspielen. Die sind sehr melodiös und werden auch den älteren Leuten gefallen. Hanns Verres aber hatte auch Humor. In der folgenden Sendung gab er zu, dass sein Rat gar nichts gebracht hatte und las den Brief eines jungen Hörers vor: „Ich habe meinen Eltern die Beach Boys vorgespielt. Mein Vater hat darauf gesagt: „Das wird ja immer verrückter. Jetzt spielen sie im Radio schon Musik von kastrierten Katzen, wo wird das noch enden?“

Also, zurück zum Thema: Selbst, wenn mir die Musik der jungen Leute nicht gefällt. Es ist ihre Zeit und ich habe kein Recht, mich in ihre Musik einzumischen. Es sei denn, sie hören sich verfassungsfeindliche rechte Texte an, dann sieht die Sache anders aus.

Doch auch in anderer Hinsicht sollte ich mir keine Illusionen machen. Wenn ich da mit dem Rad herumfahre und am Abend wohlwollend die geradelten Kilometer zähle, so bin ich für diese Jugendlichen in Warburg nichts weiter als ein Tattergreis, bei dem auch schon selbst Udo Jürgens Altershit: „Mit 66 Jahren“ das Verfallsdatum längst überschritten hat.

Was ich diesen Jugendlichen mit Recht übelnehme, ist ihr Verhalten an diesem Poller. Da spielt es auch keine Rolle, ob sie Ausländer oder Deutsche sind. Diese Aktion war ungebührlich und hat jede Art der Kritik verdient. Mit Rassismus hat die Ablehnung ihrer Tat aber auch überhaupt nichts zu tun.

Der Rassismus beginnt dann, wenn Leute Menschen diskriminieren, die ihnen wegen ihrer Herkunft, Nationalität oder Religion nicht gefallen. Rassisten würden z.B. diesen netten Kellner aus der Eisdiele ablehnen, dessen einziger Fehler es für ihre kleine Welt ist, Italiener zu sein.

Nach diesen Erlebnissen fuhr ich noch bis Trendelburg und quälte mich dann den Berg nach Manrode hoch, um schließlich die Abfahrt nach Bühne zu genießen.

10. Juni

Nach dem intensiveren Tag gestern war für heute eine kleine Verschnaufpause vorgesehen. Einige Runden im Schloh zeigten auf, dass Radfahren vor der Haustür doch auch Spaß machen kann. Selbst Wiederholungsrunden stören dabei nicht besonders. Was sollen da erst die früher populären Sechstagefahrer sagen, die in einer engen Halle vom permanenten Rundendrehen einen Drehwurm in Kauf nehmen mussten.

Danach fuhr ich nach Borgentreich zum Schwimmbad. Dort sah ich, dass die letzten Vorbereitungen für die morgige Eröffnung der Badesaison getroffen wurden.

Fahrrad und Badeanstalt. Diese Kombination faszinierte uns schon als Kinder. Von Bühne aus lief das Fahrrad fast von alleine bis zum Schwimmbad. Dort ging es international zu. Kinder der englischen Besatzungssoldaten aus dem „Camp“ zeigten uns, dass es außer deutsch und platt auch noch andere Sprachen gab. Nach dem Baden (von Schwimmen zu sprechen wäre nun wirklich übertrieben) wartete der schwierigere Teil auf uns. Fast immer bergauf, besonders der Berg am „Weißen Häuschen“ hatte es in sich. Wir verwandelten uns in die Radstars unserer Zeit und kämpften hingebungsvoll um den Sieg.

Jeder wollte Jaques Anquetil sein, der Superstar aus Frankreich. Oder zumindest Hennes Junkermann, der als Vierter bei der Tour de France der damals beste deutsche Radrennsportler war.

Abends entschloss ich mich dazu, noch einige Runden auf Manroder und Muddenhagener Gebiet zu drehen. Mir gefällt diese Gegend landschaftlich viel besser als die Börde. Ich fahre auch sehr gerne auf Feld-und Waldwegen. Vor dieser Fahrt hatte ich 574 km. So ging ich davon aus, dass ich nach dieser Abendfahrt näher an die 600 km-Marke herankam. Ich speichere immer noch nach 5 km, da ich aus Erfahrung wusste, dass die App auch gefahrene Kilometer dann und wann unterschlägt. Plötzlich wurden mir 858 km zugeschrieben und die Gesamtheit der Kilometer betrug 1449,1. So wurde ich auf Platz 1 geworfen.

Ich geriet in Panik, denn diese Weisheit kannte ich nur zu gut: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.“

Darauf rief ich sofort Wolfgang Klare an, um ihn zu fragen, ob er als Kapitän die Kilometer abziehen könne, denn mir war die ganze Angelegenheit mehr als peinlich.

Gertrud Klare erzählte mir, dass Wolfgang in einer Online-Konferenz wäre. „Kann er auch noch um 23.00 Uhr zurückrufen?“ fragte sie. „ Ja, natürlich“, war meine Antwort. Ich wartete bis 11 und schlief dann ein.

Wolfgang, sonst ein Muster an Zuverlässigkeit, war höchstwahrscheinlich in wichtigen und für den FC Bühne existenzbestimmenden Verhandlungen mit einem europäischen Spitzenclub, um einen geeigneten Nachfolger für Alexander Hengst zu finden. Da war meine lächerliche Kilometeraffäre nun wirklich nur eine Randnotiz.

Beim Blick in den Chatroom der App wurden meine schlimmsten Alpträume Wirklichkeit: Die Kollegen kommentierten begeistert meinen Aufstieg zum Spitzenreiter.

Diesen Irrtum wollte ich nun schnellstens aufklären. Ich schrieb im Chatroom, dass bei mir 858 km abgezogen werden müssten und drückte auf den grünen Pfeil. Statt des Vollzugs zeigte man mir „Error“ an. So langsam verlor ich meine Nerven und dachte nur: „So ist es also nun in Deutschland. Anstatt eine App zuverlässig zu entwickeln, konzentriert sie sich auf Nebensächlichkeiten. Klar, es ist ja auch viel wichtiger, nicht zu funktionieren, als damit anzugeben, dass „Irrtum“ „Error“ heißt.

Nach einigen weiteren Versuchen wurde meine Meldung aber angezeigt.

11. Juni

stadtradeln04Weserbrücke in HöxterWegen des Kilometerdesasters war die Nacht nicht so angenehm. Am Morgen startete ich zur nächsten Etappe. Mein Plan war es, nach Höxter zu fahren, um dann auf der niedersächsischen Seite nach Lauenförde zu radeln.

Doch lustlos wie selten wollte ich in Beverungen die Tour schon verkürzen und über Karlshafen etc. nach Hause fahren. Doch in letzter Minute entschied ich mich um und fuhr in Richtung Höxter. Dort wechselte ich schnell auf die andere Seite der Weser und fuhr weiter in Richtung Boffzen. Ich sollte es nicht bereuen. Endlich einmal eine andere als die bekannte Strecke auf der üblichen Seite der Weser. Von Boffzen bis nach Fürstenberg gab es einen Schotterweg. Nicht schlimm, weil die Strecke neu war, hatte ich fast so etwas wie ein Urlaubsgefühl. Das sollte sich noch steigern, nachdem ich in Meinbrexen frische Erdbeeren kaufen konnte.

Als ich wieder in Beverungen war, fuhr ich direkt zur Eisdiele. Es war ziemlich voll draußen und so fragte ich ein älteres Ehepaar, ob ich mich zu ihnen setzen dürfte. „Klar, gerne“ meinten sie. Wir kamen ins Gespräch und sie zeigten mir ihre E-Bikes.

Ich staunte über die kleinen Räder. „Die sind wichtig, weil sie ans Wohnmobil passen müssen“. Nach einer gewissen Zeit brachen sie auf. Wie aus dem Nichts standen plötzlich Mechthild und Rainer Hengel vor mir. Sie wohnen ja nun in Beverungen. Wir unterhielten uns über alte und neue Zeiten, bevor wir uns verabschiedeten.

Auf dem Dalhauser Radweg entdeckte ich auf einer Bank bei einem Blick in den Chatroom unserer App, dass mir Wolfgang Klare schon morgens um 7.00 Uhr geschrieben hatte. Seine Anweisungen waren so gut, dass ich diese lästigen 858 Kilometer endlich löschen konnte. Sofort fühlte ich mich besser.

Die Frotzeleien im Chat über meine Kilometerexplosion waren nett und harmlos. „Respekt“ von Ralf Fricke und „Bin beeindruckt“ von Otto Lenz standen dort zu lesen. Da hätte es mich nun auch wirklich heftiger erwischen können. Etwa die Frage, ob ich mit Fremd- oder Eigenblut dope. Oder ob ich einen besonderen Draht zu den Nachfolgern des legendären Prof. Klümper aus Freiburg hätte. Blieb mir alles erspart, aber ich hatte eine weitere Erfahrung mit der App gemacht. Am Ende des Tages schrieb sie mir für die Fahrt über Dalhausen - Höxter - Boffzen - Lauenförde - Beverungen - Dalhausen 43,7 km gut.

Na, ja, aber immer noch besser als 858 km, nicht wahr?

12. Juni

Zu jeder halbwegs professionellen Tour gehört auch ein Ruhetag. Das war uns auch schon früher klar, wenn wir die einzelnen Etappen der Tour de France verfolgten. Also gut, mein Ruhetag ist heute. Ein herrliches Gefühl, die Beine hochzulegen und das Fahrrad in der Garage zu lassen. Noch übertroffen aber wurde das Stimmungshoch bei dem Gedanken, an diesem Tag die App App sein lassen zu dürfen.

Eine Kleinigkeit aber störte mich zugegebenermaßen: Der Begriff „Ruhetag beim Stadtradeln“ passte überhaupt nicht in mein Stimmungsbild. Irgendwie spießig, miefig mit einem Hang zu Heinz Florian Oertels DDR-Sportberichterstattung. Dabei muss ich einräumen, dass dieser Sportreporter, genau wie etwa Herbert Zimmermann im Westen, viele der Nachfolger in der sprachlichen Qualität weit übertraf. Bei Oertel hat mich immer nur die Glorifizierung der DDR-Tristesse gestört. In unserem Fall hätte er seine Sendung „Ha ho he - Stadtradeln ist ok“ genannt. Aber „Tour de Piun“ oder „Giro dˋBorgenta“ sind auch nicht viel origineller. Viel wichtiger: Die EM startete gestern. Also nach dem Radeln gibt es Fußball. Viel sportlicher geht es kaum noch.

Dabei geriet wohl jeder Zuschauer des EM-Spiels Dänemark - Finnland zu Beginn des Turniers gleich in einen Zustand der Schockstarre. In der 43. Minute brach der dänische Inter Mailand - Profi Christian Eriksen auf dem Platz zusammen. Ärzte kämpften um sein Leben. Man befürchtete schon das Schlimmste. Nach einer endlosen Wartezeit kam die kaum noch erhoffte Entwarnung.

Eriksens Zustand war stabil und aus dem Krankenhaus heraus bat er per Face-Time seine Mitspieler, das Spiel fortzusetzen.

13. Juni

Der Ruhetag ist vorbei und die nächsten Tage sollen den Wetterprognosen zufolge heiß werden. Der gestrige Tag hat wieder einmal gezeigt, wie schnell das Leben vorbei sein kann, selbst bei einem durchtrainierten jungen Mann von 29 Jahren.

Am heutigen Sonntag steht auf meinem Plan die Fahrt nach Grebenstein. Ganz besonders freue ich mich auf den Abschnitt Hofgeismar-Carlsdorf. Die Strecke bin ich früher gern mit den Inlinern gefahren, denn sie eignete sich für diese Art von Touren ganz besonders gut. Nach Grebenstein bin ich damals aber auch schon einmal mit dem Fahrrad gefahren.

Als ich zum Rand des Sielener Waldes kam, schaute ich kurz noch einmal zu der Bank, auf der ich vor einigen Tagen völlig erschöpft gesessen hatte. Während der Abfahrt nach Sielen staunte ich darüber, dass ich diese Steigungen damals tatsächlich geschafft hatte, denn der Berg erschien mir jetzt unglaublich steil.

Nach der Vorhersage sollte es ja heute schon heiß werden. Mir kam aber ein kühlender Wind entgegen und ich fand das sehr angenehm. Gut, es war noch früh und meine Fahrten beginnen zumeist zeitig, wohl nach der Regel: „Der frühe Vogel fängt den besten Wurm“.

In Carlsdorf kam mir der Berg innerhalb des Ortes viel länger und steiler als in meiner Erinnerung vor. Auf dem Radweg in Richtung Grebenstein sah ich an den Halmen, dass ich auf dem Rückweg mit dem entgegenkommenden Wind rechnen musste.

Der erwies sich aber nach kurzem Aufenthalt in Grebenstein zwar noch immer kühlend, aber sonst harmlos.

Für den Aufstieg hatte ich dieses Mal Eberschütz gewählt. Am Ortsausgang in Richtung Muddenhagen sah ich im Abstand von etwa 100 m einen mit seiner Ausrüstung professionell aussehenden Wanderer. Da ich aus Erfahrung weiß, dass ich die Aufstiege langsam angehen muss, um später noch genügend Kraft zu haben, dauerte es ziemlich lange, bis ich ihn überholte. „Sie gehen ja fast so schnell wie ich fahre“, sagte ich zu ihm. „Ja, das stimmt, ich bin ein geübter Wanderer und es ist alles eine Frage der Schrittfolge“, rief er mir zu und schon war ich vorbei.

Ich überlegte die ganze Zeit danach, was er damit wohl gemeint haben mochte, denn ich als Wanderlaie hatte bisher immer gedacht, dass es eher auf die Schrittschnelligkeit bei der Wandergeschwindigkeit ankommen würde.

Als ich noch in Gedanken war, kam mir schon das nächste Wanderehepaar so in meinem Alter entgegen. Die Frau erwiderte meinen Gruß nur knapp und huschte vorbei. Der Mann aber grüßte freundlicher, warf einen kurzen Blick auf mein Fahrrad und meinte dann: „So ganz ohne Hilfsmotor hier in den Bergen unterwegs. Ein guter Mann“!

Was so ein Kompliment zur richtigen Zeit am richtigen Platz doch so alles bewirkt: Nach seinen Worten flog ich mehr oder weniger den Berg hinauf und fühlte mich oben immer noch frisch.

14. Juni

So langsam gingen mir die Ideen aus. Da kam, wie gerufen, ein Anruf von meiner Schwägerin, Doris Meier. Sie hatte gestern eine Radtour gemacht und war ganz angetan davon. Nachdem ich die Namen der Dörfer hörte, wusste ich, dass ich genau diese Fahrt auch machen wollte.

Der Start durch den Evershagen war noch nichts besonderes. Als ich auf den Feldwegen in Richtung Willegassen unterwegs war, traf ich auf Straßenarbeiter mit ihrem Unimog. Der Unimog fuhr auf dem engen Feldweg langsam rückwärts. Beim Überholen merkte ich, dass es unmöglich war. Er hätte kurz halten müssen, damit ich ihn dann gefahrlos überholen konnte. Machte er aber nicht. Er verringerte seine Geschwindigkeit noch, ließ mich aber nicht vorbei.

Nicht ganz ohne Zorn dachte ich: „Wenn das so weiter geht, dann kann ich auch gleich hier übernachten“. „Gut, am Montagmorgen kann man schon einmal schlechte Laune haben“, kam es mir in den Sinn, „aber warum müssen sie sie gerade an mir auslassen“?

So drehte ich mein Rad um und fuhr anstatt der Verkürzung über Willegassen nach Natzungen.

Schweckhausen, Peckelsheim und Helmern waren die nächsten Stationen. Als ich in Helmern war, fiel mir eine Geschichte aus Jugendfußballzeiten ein. Helmern und Fußball? Doch das gab es auch einmal. Es muss so in der Zeit um 1963 gewesen sein. Der Sportplatz war an einer Art Hain und nicht ganz eben. Die Frage war dann immer: „Spielen wir in der ersten Halbzeit bergauf, um dann in Halbzeit zwei nach einem Unentschieden oder nur einem knappen Rückstand bergab voll auf Sieg spielen zu können“?

An das Ergebnis erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß nur, es gab ein Auto zu wenig, um uns von Helmern nach Bühne zu bringen. Vier Spieler blieben zurück in Helmern. Durch ein Missverständnis kam auch kein Wagen, um uns zu holen. Es regnete und wir gingen in eine Scheune. Wir warteten und warteten. Ich kann mich nicht mehr an alle Spieler erinnern, nur an Wilfried Waldeyer. Zu den Zeiten gab es natürlich kein Handy oder sonstige Verbindungsmöglichkeiten. Nachdem wir so etwa 2 Stunden gewartet hatten, beschlossen wir, ins Dorf zu laufen.

Wir fanden mitten im Dorf die Gastwirtschaft Gockeln. Dort riefen wir an und nach einer gewissen Zeit erschien Karl Jäckel, der damalige Vorsitzende des FC. Nie habe ich mich mehr über ein Gesicht aus Bühne gefreut. Als ich heute durch Helmern fuhr, fand ich noch das Haus der Gastwirtschaft Gockeln, aber es gibt dort nur noch einen Getränkemarkt.

Die Fahrt von Helmern nach Fölsen gefiel mir landschaftlich besonders gut. Im Tal bereitete ich mich auf den Anstieg zur Hegge vor. Doris hatte mich vor dem Berg gewarnt. Doch seitdem ich ganz langsam starte, um eine Anhöhe zu erklimmen, sind die Befürchtungen nicht mehr so groß. So erreichte ich problemlos die Hegge. Die kannte ich von verschiedenen Tagungen.

Das nächste Dorf hieß Frohnhausen. Dort war ich schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gewesen. Vor vielen vielen Jahren hatte Frohnhausen gleich zweifach eine besondere Bedeutung für mich.

Als 15 oder 16-jähriger Jugendlicher hatte ich es geschafft, Mitglied der erfolgreichen Bühner Tischtennismannschaft zu werden. Mit dabei waren Klaus Krull, Günter Engel, Paul Gocke und Georg Dierkes. Wir wurden Meister, hatten aber mit der Mannschaft aus Frohnhausen einen langjährigen Kontrahenten. Klaus Krull bei uns und Paul Dickhausen bei denen waren die Stars ihrer Zeit. Wir spielten im Saal der Gastwirtschaft Göke.

Deshalb fuhr ich in Frohnhausen zuerst die Gastwirtschaft Göke an, um zu sehen, ob es sie noch gibt. Das Haus fand ich zwar, aber von einem Gasthaus war nichts mehr zu sehen. Trotzdem kamen bei mir viele Erinnerungen hoch.

Die hingen auch mit der zweiten Frohnhausen-Verbindung zusammen. Ludger Göke war der Gastwirtssohn und ich sollte ihn in Wildeshausen beim Fallschirmjäger -Bataillon 212 in der Wittekind-Kaserne wiedertreffen.

Wir sprangen drei- oder viermal sogar aus dem gleichen Flugzeug ab und versuchten dann, wenn wir uns anschauten, ein besonders lässiges Gesicht zu machen. Lässig war in unserer Jugend der Ausdruck, den man heute als cool bezeichnen würde. Jedenfalls hatten wir wohl beide die Absicht, zu überspielen, wie es in Wirklichkeit in uns aussah.

Durch die damalige Zeit war auch die Rückfahrt geprägt. Mit dem Fahrrad nimmt man die Strecke doch noch bewusster wahr als es mit dem Auto der Fall ist.

Der Vorteil einer Tour in den Altkreis Warburg liegt auch noch darin begründet, dass man bei der Rückkehr keine Eintrittskarte für das gelobte Land braucht. Vom Westen her ist nämlich es nämlich flach und diese sonst notwendige Bergkletterei aus dem Diemel- oder Wesertal entfällt. So erreicht man Bühne ganz entspannt.

15. Juni

stadtradeln06Die Sababurg ist naheJetzt habe ich es endlich herausgefunden. Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, über den Kilometerzähler der App nichts mehr zu erzählen. Doch nachdem er gestern im Altkreis Warburg vorzügliche Arbeit ohne jeden Fehler geleistet hatte, zeigte er mir in Eberschütz die kalte Schulter. 0 Kilometer von Bühne in dieses Hessendorf sind etwas wenig.

Während der weiteren Fahrt zeigte er merkwürdige Ergebnisse. Die Schlussfolgerung dürfte nur lauten: Der Zähler kann die Hessen nicht leiden. Von mir hat er das aber nicht. Ich habe nichts gegen die Hessen. Im Gegenteil: Sie sind freundlich, offen und herzlich.

Ehe ich es vergesse, das Ziel der Reise sollte die Sababurg sein. In Hofgeismar passierte mir das, was ich ja unbedingt vermeiden wollte. Ich fuhr den Berg am Krankenhaus viel zu schnell hoch. Es lag daran, dass ich die viel befahrene B 83 ganz schnell verlassen wollte. Bei all den weiteren Aufstiegen spürte ich eine gewisse Mattigkeit. Deshalb meine Faustregel: Gehe die Berge ganz langsam an! Nur dann hast du die Kraft für spätere Anstiege.

Als ich den Tierpark an der Sababurg erreicht hatte, wurden unzählige Erinnerungen an längst vergangene Zeiten geweckt. Sehr oft hatten wir den Tierpark privat, mit den Schul- und Enkelkindern besucht. Heute war ich nicht an einem Rundgang interessiert. Trotzdem wollte ich mich über die Handhabung in Coronazeiten erkundigen. So ging ich zum Eingangstor und erfuhr, dass ein Besuch ohne Voranmeldung nicht erlaubt war.

Die Rückfahrt erfolgte über Gottsbüren und Friedrichsfeld. In Trendelburg fuhr ich am Schwimmbad vorbei. Bei diesen Fahrten habe ich immer die Badehose im Rucksack dabei, man weiß ja nie. Doch schade, sie erklärten mir, dass das Bad das ganze Jahr nicht geöffnet würde, da dringend notwendige Sanierungsarbeiten durchgeführt werden müssten. Auf dem Westfalenweg entschied ich mich nicht für die Fahrt über die Villa Rothenburg, sondern bog links ab und fuhr zur Straße zwischen Trendelburg und Manrode. Von dort auf einem von selbst rollenden Rad nach Hause, das sind die kleinen Vergnügungen am Ende einer anstrengenden Tour. Nach so einer Fahrt spüre ich auch das Alter. Jetzt läuft ja die EM. Beim um 21.00 Uhr beginnenden Spiel bin ich manchmal so müde, dass ich einschlafe. Das darf mir heute unter keinen Umständen passieren. Denn an diesem Abend spielt unsere Mannschaft gegen Frankreich.

16. Juni

Am Morgen bin ich noch immer ziemlich aufgewühlt über die gestrige 0:1 Niederlage gegen Frankreich. Toni Kroos sagte nach dem Spiel: „Wir haben nicht schlecht gespielt.“ Das stimmt. Doch für mich waren die Franzosen besser und haben verdient gewonnen.

Heute wollte ich eine Runde fahren, die ich eigentlich schon immer in meinem Blickfeld hatte. Nach Warburg bin ich schon oft geradelt, doch entweder über die Dörfer oder über den Diemelradweg. Dabei gibt es doch eine bekannte Strecke durch die Börde. In der Gegend um Lütgeneder ist es interessant, die Wachstumsvorteile der Feldfrüchte gegenüber unserer Gegend zu beobachten. Von Lütgeneder bis Hohenwepel gibt es zwar auch einen Radweg, aber der stetige Verkehr in unmittelbarer Nähe stört doch etwas.

Das änderte sich in Hohenwepel. Nie hätte ich gedacht, dass es von dort einen so schönen Radweg nach Warburg gibt. Als ich da ankam, entdeckte ich ein Schild mit der Aufschrift : Warburg-Nord. Ich überlegte, ob das nicht auch eine Maßnahme wäre, um unserem Dorf mehr Wichtigkeit zu geben, ließ es dann aber. Wer wollte schon gerne in Ostbühne wohnen? Hätte die Bewohner doch immer an Ostberlin erinnert.

Über Daseburg, Lütgeneder und die Feldwege erreichte ich in der Mittagshitze Bühne.

17. Juni

Aus nostalgischen Gründen fuhr ich am letzten Tag die gleiche Route wie zum Auftakt der Tour. Kaum zu glauben, schon vorbei. Wird auch langsam Zeit, wieder in das normale Leben zurückzukehren. Wolfgang hatte uns zum großen Finale ans Sportlerheim eingeladen. Eine nette Geste. Ja, er weiß eben aus Erfahrung, wie Sportler ticken.

Einige Mannschaftsmitglieder unseres Teams konnten aus den verschiedensten Gründen leider nicht an diesem Treffen teilnehmen. Das nur zur Erklärung, wenn man sie auf dem Foto vergeblich sucht.

Hermann Hartmann, so heißt der Sieger aus unserer Mannschaft, der am Ende der drei Wochen mit 1785 km die größte Anzahl der gefahrenen Kilometer für sich verbuchen konnte. Herzlichen Glückwunsch zu dieser tollen Leistung!

Doch auch die anderen Mitglieder unserer Mannschaft waren glücklich, als bekannt wurde, dass wir im Schnitt pro Teilnehmer mit 634 km die meisten Kilometer gefahren waren. Also, vereinfacht ausgedrückt: Stadtradelsieger 2021 in dieser Kategorie: Der FC Bühne.

Und wenn nach dem Geheimnis unseres Erfolges gefragt werden sollte, so lautet die schlichte Antwort: Weil wir alles für den Sieg gegeben hatten: Wir gaben unser Herzblut, unseren Schweiß und unsere mühsam angefutterten Kilos.

Doch noch wichtiger:

Mit unserer Aktion konnten wir zeigen, dass wir den Klimaschutz ernst nehmen und dafür werben, nach Möglichkeit einfach mal das Auto stehen zu lassen und dafür das Fahrrad zu nehmen.

Zum Schluss noch ein Wort zu der Rangliste. Als ich bei unserem Treffen fragte, ob ich dieses Ranking veröffentlichen solle, waren die Meinungen geteilt. Manche stimmten dafür, nur den Sieger oder die ersten Drei oder die ersten Zehn darzustellen. Am Ende war die überwiegende Mehrheit dafür, die Tabelle ganz zu veröffentlichen.

Für die Letzten bestimmt kein angenehmes Gefühl. Gut, Markus Klare ist im Moment Bühnes Tischtennisspieler Nr. 1 und hat es bestimmt nicht nötig, sein Können im Radfahren zu zeigen. Er war auch gar nicht anwesend.

Ralf Fricke aber war nicht dagegen, dass diese Tabelle öffentlich erscheint. Für mich war das die größte Leistung. Ich weiß nicht, weshalb er so wenig fuhr und es geht mich auch gar nichts an. Natürlich ist er ein weit besserer Radfahrer als ich. Deshalb gehört der Respekt der ganzen Gruppe auch darum ihm, weil er im Gegensatz zu der Mehrzahl unserer Radlermannschaft selbst einen letzten Platz mit Würde ertragen konnte.

Die Platzierung der Radler des FC Bühne beim Stadtradeln 2021:

 Hermann Hartmann   1785 km
 Sylvia Rasche   1522 km
 Stefan Schweitzer   1320 km
 Günter Hanke   1187 km
 Günter Rasche   1090 km
 Otto Lenz   932 km
 Leonhard Meier   814 km
 Ingelore Fels (2 Personen)  804 km
9 Carmen Watermeyer Fels  666 km
10 Jutta Kropp  642 km
11 Hubert Krull 613 km
12 Ralf Marienfeld  545 km
13 Hermann Pape  539 km
14 Dorothee Klotz  527 km
15 Elmar Rose  435 km
16 Manfred Steinmetz  409 km
17 Wolfgang Klare  243 km
16 Carly Löhr (3 Personen) 233 km
19 Markus Klare  136 km
20   Ralf Fricke  130 km